Prag 28.05.2017

Deutsche EM-Medaillenbilanz sehr gut

Von sechs Disziplinen der Hallenrad Junioren Europameisterschaft 2017 fünf Mal Gold, das kann sich sehen lassen. Aber die Bodenbedingungen für die Sportler, insbesondere in den Disziplinen 1er und 2er waren für eine EM nicht akzeptabel, so dass an Rekorde gar nicht zu denken war.

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Nachdem die deutsche Nationalmannschaft am Mittwoch in Prag eintraf, war die Verzweiflung groß. Der Tschechische Radsportverband hatte die Halle des Handballvereins Sparta Praha organisiert, ein für eine EM schöne Arena angemessener Größe. Nur was für Handballspiele gut ist, ist im Hallenradsport kaum zu gebrauchen: Ein punktelastischer Boden.

Nach dem Einmarsch der Sportler, der Begrüßung des tschechischen Veranstaltungsorganisators Michal Kopecky, der Eröffnungsrede vom Präsidenten der UEC-Hallenradkommission Hilmar Hessler und ansprechendem turnerischen Showprogramm wurden die mittags begonnenen Wettkämpfe und Radballspiele fortgesetzt.

Die erste Ausscheidung fand am Freitagabend in der Disziplin 2er Juniorinnen statt, die - nach einem dramatischen und auch gefährlichen Sturz mit Programmunterbrechung - Pia Seidl und Lea Andexlinger aus Schleißheim bei München mit 108,19 von aufgestellten 125,90 Punkten und der Goldmedaille klar für sich entschieden. Sie stürzten, als Pia Seidl aufgrund der trägen Fahrdynamik im Handstand nach hinten kippte und ihre im Kopfstand auf dem Sattel stehende Partnerin und Cousine vom fahrenden Rad stieß. Lea Andexlinger landete knapp neben dem Dornen mit dem Rücken im Hinterrad und Pia Seidl konnte gerade noch einen Sturz direkt ins Rad durch Ihre Falldynamik verhindern.

Etwas weniger dramatisch, aber mit den gleichen sportlichen Problemen verlief der Wettbewerb der 1er Junioren, den Tim Weber von RC-Böhl-Ingelheim (Rheinlandpfalz) mit 165,92 Punkten von 117,60 aufgestellten und Gold vor seinem Nationalkaderkollegen Simon Köcher aus Öschlbronn (Baden-Württemberg) mit 143,12 von 177,10 aufgestellten Punkten gewann. Tims etwas geringeres Gewicht war dabei sicher ein kleiner Vorteil bei den Bodenverhältnissen. Platz 3 und Bronze ging an Christopher Schobel aus Österreich mit 139,95 Punkten.

Erhebliche sportliche Probleme und Stürze hatten am nächsten Tag auch die beiden Quecke-Brüder in der 2er offene Klasse sowie ihre Mitbewerber aus Frankreich, der Ukraine, Tschechien und Ungarn zu bewältigen. Am Ende entsprachen die Medaillenränge den Erwartungen. Mit den sportlichen Ergebnissen in ausgefahrenen Punkten waren sie sicher nicht zufrieden. Europameister wurden die beiden Queckebrüder aus Biberach (Baden-Württemberg) mit 84,68 von 123,40 Punkten vor den Tschechen Radek Jancik und Ondrej Hanzlicek, die mit 61,71 ausgefahrenen Punkten Silber holten und den Franzosen Lysiane Hudowicz und Gauthier Fournier (59,98 Punkte) mit Bronze.

Besser - aber nicht ohne Probleme - kamen die Mannschaftsfahrerinnen mit den Bodenverhältnissen klar. Hier konnten die deutschen Sportlerinnen Julia Dörner, Pia Pollinger, Annamaria Milo und Anna-Lena Vollbrecht aus Steinhöring (Bayern) mit 108,19 von 125,90 aufgestellten Punkten einen Platz gut machen. Damit gewannen sie Gold und den Europameistertitel vor den Schweizerinnen mit 102,15 Punkten (Silber) und den Österreicherinnen mit 99,04 Punkten (Bronze).

Unerwartet und ebenfalls dramatisch verlief die Entscheidung im sehr engen Starterfeld der Spitzensportler im 1er Juniorinnen zum Veranstaltungsende. Die mit 155,90 Punkten als fünfte aufgestellte Schweizerin Allessa Hotz kam mit „nur“ 17 Punkten Abzug und 138,70 ausgefahrenen Punkten vergleichsweise gut durch ihr Programm und erzielte damit Bronze.

Die als vierte aufgestellte Österreicherin Lorena Schneider - eine der vier Juniorinnen, die mit über 170 Punkte antrat - erzielte 149,32 Punkte und damit überraschend Gold. Mattea Eckstein aus Deutschland (BW) gewann mit ausgefahrenen 139,84 Punkten und 38,96 Punkten Abzug Silber. Bitter endete es für die beiden Favoritinnen Julia Walser aus Österreich und Lara Füller aus Deutschland (BW). Mit ausgefahrenen 137,77 Punkten und 42,83 Punkten (76 %) erreichte Lara Füller Platz 4 und knapp dahinter Julia Walser mit 137,10 Punkten und 45 Punkten Abzug (75%) Platz 5.

Mit diesen Ergebnissen wurden die Spitzensportlerinnen, die die ganze Saison kontinuierlich Spitzenleistungen weit über dem EM-Niveau gezeigt haben (Ausfahrergebnisse konstant über 90 %), regelrecht ausgebremst. Mattea Eckstein fährt sicher mit der Silbermedaille zufrieden nach Hause und Julia Walser hat nächstes Jahr nochmal eine Chance auf den EM-Titel. Lara Füller muss, trotz ihrer hervorragenden Kunstradsaison 2017, dem mehrfachen Deutschen Meistertitel und als Juniorenweltrekordhalterin, dieses Jahr die Junioren ohne eine EM-Medaille zum Abschluss verlassen. Das ist traurig und bitter.

Im Radball traten Max Rückschloss und Eric Haedicke aus Sangershausen als Favoriten an, um ihren letztjährigen EM-Titel zu verteidigen. Dies gelang souverän ohne ein Spiel zu verlieren und einem Sieg über die recht starke österreichische Mannschaft im Finale mit 5:2. Spielten Mannschaften gleicher Stärke - wie etwa Deutschland, Österreich, Schweiz oder Tschechien - gegeneinander, so war ein guter Kampfgeist und eine hohe Spieldynamik mit entsprechend guter Stimmung im Publikum zu sehen. Spielte eine dieser Mannschaften gegen eine der Schwächeren, kam dies öfter einem „Abschuss“ gleich, wie zum Beispiel die Tschechen gegen die Belgier mit 11:0 oder die Deutschen gegen die Ungarn mit 15:0. Die Publikumsbegeisterung war hier auch entsprechend gering.

Radballer und 4er Kunstrad kamen einigermaßen zurecht auf dem punktelastischen Boden, insgesamt lief es etwas träger. In den Disziplinen 1er und 2er waren Spitzenprogramme, die der Zuschauer sich von einer EM erwartet, nicht zu zeigen. Durch die Bodenbeschaffenheit sinken die Räder buchstäblich ein, was das Tempo und die Rolldynamiken stark zum Nachteil der Sportler beeinflusst – Kunstradfahren im Morast quasi. Handstände wurden verkürzt, Runden auf halbe verkürzt und mehrfacher Lenkerstanddrehungen oder Drehsprünge auf einfache reduziert, um die Programme halbwegs machbar zu bekommen.

Am Ende hagelte es trotz der abgemagerten Programme ungewöhnlich viele Stürze und Prozente für fehlende Wegstrecken bei den Spitzensportlern. Obwohl für alle Sportler die Bedingungen faktisch gleich waren, wirkten sich die schlechten Bodenbedingungen auf die Spitzensportler besonders gravierend und nachteilig aus. Hier müssen von der UEC-Hallenradkommission bei den nächsten Wettbewerben die Bedingungen deutlich verbessert und mehr Augenmerk auf eine entsprechende Umsetzung gelegt werden.

Will man den Hallenradsport in Richtung Worldgames oder Olympia entwickeln, so konnte man auch bei dieser EM sehen, welche Entwicklungsarbeit auf internationaler Ebene noch notwendig ist, um mehr internationale Vielfalt im Spitzenbereich bieten zu können. Und die entsteht nicht ohne Entwicklungshilfe in Form von Fahrrädern, Ausbildung von Trainern, Training von Sportlern und teilweise auch finanzielle Unterstützung von Sportlern aus bettelarmen Ländern, um ihnen die Anreise und Unterkunft beispielsweise einer solchen EM zu ermöglichen.

Oft steht hinter einer internationalen Teilnehmernation eine deutsche Hallenradpersönlichkeit, die sehr viel Freizeit und persönliches Engagement in die Entwicklung des Hallenradsports steckt. Ihnen gebührt an dieser Stelle Dank und Anerkennung. Ohne diese Leistungen im Hintergrund wäre auch diese EM nicht so bunt und vielfältig gewesen.

Bei aller Kritik an den sportlichen Bedingungen und Enttäuschung über die sportlichen Leistungen gab es auch viele schöne und großartige Momente, welche erst beim zweiten hinschauen auffielen.

Beispielsweise als Lara Füller, eine der deutschen Spitzensportlerin, die von den widrigen Bodenbedingungen vermutlich am meisten einstecken musste. Als sie von der Fahrfläche ging und einen Blick auf die Anzeigentafel nahm, war sie bestimmt unendlich traurig und ihr zum Davonlaufen zu mute. Sie nahm an was ist, ging als erstes mit aufrechter Haltung zur Siegern, Lorena Schneider und gratulierte ihr. Damit zeigte Sie menschliche Größe und die Persönlichkeit einer jungen starken Frau. Das verdient allergrößten Respekt. Solche Persönlichkeiten bringt der Kunstradsport viele hervor und viele davon werden irgendwann eine tragende Rolle in der Gesellschaft übernehmen.

Mit dieser EM ist auch Europa ein kleines Stück mehr zusammengewachsen. Da umarmen sich die slowakische und tschechische Trainerin herzlich und die Sportler tun es ihnen gleich, obwohl sich beide Nationen im Dezember 1992 trennten. Zudem fanden Begegnungen mit Sportlern aus zahlreichen europäischen Nationen – sei es sportlich oder beim anschließenden Feiern - statt. Mit jeder Begegnung ist das Fremde ein bisschen kleiner und das Gemeinsame ein bisschen größer geworden in Europa.


Hubert Dandl
EM-Radballspiel GER : FRA mit den Spielern Eric Haedicke (Tor) und Max Rückschloss aus Sangershausen; Foto Hubert Dandl